Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Ayaz Qala 07.7.2012, Kilometerstand 6791, 59. Reisetag. Wetter 42 Grad, die Sonne brennt.
Kaum aus Chiwa herausgefahren, hat uns die Wüste wieder. Von 12 bis 17 Uhr brennt die Sonne erbarmungslos, die Mittagstemperaturen liegen knapp über 40 Grad. Wind aller Art, wie z.B. Fahrtwind durch offene Fenster, macht das ganze einigermaßen erträglich. Von meinen Motorradreisen durch die Sahara weiß ich noch, dass sogar der Fahrtwind ab ca. 45 Grad unangenehm wird, aber so heiß ist es hier glücklicherweise nicht. Nachts stellen wir den Gran Hermano so auf, dass der Wind durch beide Türen seinen Weg findet, außerdem bleiben die Türen in der Nacht jetzt auf. Manchmal ist der Wüsten- oder Steppenwind allerdings so stark, dass drinnen alles durch die Gegend fliegt, was leichter ist als 200 Gramm. Dann können wir abwägen, ob uns Kühlung lieber ist oder Ruhe vor dem ewigen Wind.
Wir weichen vom direkten Weg weiter nach Buchara Richtung Norden ab, denn dort gibt es eine ganze Serie von alten Festungsruinen, die zwischen 1.500 und 2.000 Jahren alt sind und mitten in der Wüste oder auch direkt im heute mittlerweile bewässerten landwirtschaftlich genutzten Gebiet stehen. Eine der eindrucksvollsten Festungen ist Ayaz Qala (Qala steht für Festung oder ummauerte Stadt), ein Komplex aus drei Festungen, von denen zwei über der Ebene auf einem Hügel stehen. Obwohl Ayaz Qala als touristische Attraktion eigentlich bekannt ist, ist dort kein Schwein, als wir sie am frühen Nachmittag erreichen. Die meisten Besucher werden mit einer gebuchten Tour gebracht und dürfen sich in der Mittagshitze dann die Ruinen ansehen. So bleiben wir einfach unter den Hügeln mit den Ruinen stehen und haben die ganze Szenerie für uns alleine. Wir können abends und morgens bei einigermaßen genehmen Temperaturen die Ruinen erkunden und darin herumklettern. Die Festungen von Ayaz Qala wurden zwischen 400 v. Chr. und 700 n.Chr. aus Lehm gebaut und sind schon seit 1.300 Jahren nicht mehr bewohnt. Dass davon bei dieser einfachen Bauweise nach so langer Zeit überhaupt noch etwas steht, ist schon faszinierend. Man vergleiche nur, wie viel von einer Burgruine aus massivem Stein in unseren Breiten nach so langer Zeit noch übrig ist. Der Innenbereich der oberen Festung Ayaz Qala 1 ist mit 180×150 Metern beeindruckend groß, das war also früher schon eine größere Ansiedlung. An den Ruinen sieht man, dass diese wüstenartige Gegend schon vor tausenden von Jahren eine bedeutende Stellung und Hochkultur hatte, die Festungen sollten das damalige Königreich Choresm vor einfallenden Nomaden schützen. Zusätzlich zu dieser geschichtlichen Bedeutung fühlen wir, dass die Erbauer mit diesen einzigen Hügeln im Umkreis einfach Orte mit faszinierender Ausstrahlung für ihre Festungen gewählt haben.
Schon auf der Weiterreise sehen wir am nächsten Tag mit Guldursun Qala eine noch größere Festungsruine quasi mitten in den Baumwoll- und Reisfeldern direkt am Straßenrand. Auch diese Ruine ist über 2.000 Jahre alt, war aber immerhin noch bis zum Mittelalter bewohnt. Die Mauern umrahmen einen Platz von 380 x 250 Metern und sind fast 1,5 km lang. In der Mitte ist nichts erhalten, aber die Fläche reicht für eine kleine Stadt.
Die nächsten zwei Tage fahren wir dann Richtung Buchara, abends stehen wir wieder wie gewohnt neben der Straße irgendwo in der Wüste. Straße ist eigentlich auch das falsche Wort, denn es gibt wieder einmal einen fast 100 km langen Abschnitt, der alles bietet, was eine Straße nicht bieten sollte: Asphalt mit Riesenlöchern, bei denen man sich wünscht, diese Straße wäre nie asphaltiert worden. Wann immer möglich, sucht man sich eine Spur neben der Straße, doch meistens geht das nicht. Andere hatten dieselbe Idee und haben damit die Spur neben der Straße über die Jahre auch zerstört. Also ist die kaputte Straße nur etwas breiter als gewöhnlich. Dazu kommen Querrillen, Steine und Absätze, die das Auto immer wieder erschüttern. Auf einigen Teilstücken kann man 10 km/h fahren, auf anderen sogar 30.
Doch immer wenn ich abends in der “milden” Abendluft (nur noch 30 Grad) sitze und in die Wüste schaue, wird mir klar, wie wenig ich eigentlich brauche, um mich gut zu fühlen. Die Aufgabe des Tages lautete, sich auf dieser Straße ein Stück weiter zu bewegen. Abends freue ich mich, wenn ich diese Aufgabe gemeistert habe und an dem fast 50 Jahre alten Gran Hermano trotz der üblen Straßen nichts kaputt gegangen ist. Dazu eine milde Brise, die über den Körper streichelt und das Gefühl, einfach unverschämt viel Zeit zu haben. Kein Aktionismus mehr, einfach nur sein. Seit fast einem Monat fahren wir nun durch diese monotone Landschaft, die sich kaum ändert. Trotz der Monotonie bin ich gerne hier, alles andere ist weit weg. Was zählt, sind Kleinigkeiten und die Wunder der Natur, die gerade in der Wüste unscheinbar und klein sind. Gerne übersieht man sie, wenn man nicht empfänglich dafür ist. Als ob er das untermauern will, landet ein bunter Eisvogel (Kingfisher) quasi nebenan auf einem Busch und bleibt lange dort sitzen. Leuchtend grünblau schimmert sein Gefieder, die Unterseite der Flügel ist leuchtend orange. Der große Fluss Amudarja ist noch in Sichtweite, trotzdem wirkt dieser bunte Vogel mitten in der Wüste fast wie eine Halluzination.