Bordbuch-Eintrag: Ankunft am Gorsa-Canyon 27.6.2015, Kilometerstand 2785, 33. Reisetag. Wetter 11 Grad, teilweise sonnig.
Wieder einmal selbsterklärendes Norwegisch: Nachdem wir schon fast 100 km am Lyngenfjord entlanggefahren sind, immer auf der Suche nach einem schönen Platz für die nächsten Tage, ist in unserem norwegischen Autoatlas etwa 15 km hinter der nächsten Abzweigung ein „spesiell Canyon“ als Sehenswürdigkeit eingezeichnet. Dieser Atlas ist besser als die meisten Reiseführer, dort ist jeder Aussichtspunkt, jede Vogelinsel und jeder interessante Punkt eingezeichnet, die meisten davon sind in den einschlägigen Reiseführern nicht einmal kurz erwähnt. Ein spezieller Canyon klingt auf jeden Fall interessant, also gehen wir der Sache auf den Grund und verlassen das Fjordufer.
Der Abstecher erweist sich als Volltreffer. Die Straße führt durch ein Flusstal in die Berge, nach Verlassen des letzten Ortes kündigt ein Schild frei weidende Schafe für die nächsten 25 km an, und schon bald windet sich die kleine Straße in die Berge. Dort finden wir ein 300 m hoch gelegenes und etwa 200 m breites Plateau als idealen Stellplatz, nach drei Seiten fällt das Plateau fast senkrecht ab. Eine Seite davon bietet einen Ausblick ins Tal, die anderen beiden Seiten enden in tiefen Schluchten, in denen Wasserfälle und Stromschnellen gurgeln. Eben ein „spesiell Canyon“.
Doch den wahren „spesiell Canyon“ finden wir dann erst auf einer Wanderung, auf der wir die Gegend erkunden. Überall sind ausgeschilderte Wanderwege, die längsten davon führen bis ins etwa 30 km entfernte Finnland. Ein Quad Verleih muss auch irgendwo unten im Tal sein, denn es donnern laufend Quads durchs Gelände – heute ist Sonnabend, wie überall Tag für Freizeitspaß. Wer glaubt, dass es einsamer wird je weiter man nach Norden kommt, unterliegt einem großen Trugschluß. Doch auf den Wanderwegen verliert sich der Trubel, mehr als eine Handvoll Fußgänger sind hier nicht unterwegs. Der Endpunkt unseres Weges ist die „Gorsabrua“, eine 2011 gebaute Hängebrücke über den tiefsten Canyon Nordeuropas, 153 Meter tief.
Das ist also der wirkliche „spesiell Canyon“, von all dem wussten wir bei Antritt der Wanderung noch nicht – die Überraschung war entsprechend gelungen. Der Blick nach unten haut einem den Vogel raus, denn es scheint als ob der Canyon nicht nur sehr tief, sondern unten auch nur wenige Meter breit ist. Die Brücke ist nur dazu da, damit sich der Wanderer das Spektakel von oben ansehen kann, außerdem kann man an einigen Wochenenden hier Bungeespringen. Direkt neben der Brücke treffen sich drei Wasserfälle und stürzen in die Schlucht. Von oben sieht es aus, als ob das Wasser nie unten ankommt, sondern vorher vom Wind in Nebel und Sprühregen verwandelt wird.
Fazit 1: ein gelungener Seitenabstecher, den man nicht auslassen sollte
Fazit 2: viele Reiseführer kann man sich schenken, einen guten Atlas oder eine gute Detailkarte nicht