Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Biisk 19.9.2012, Kilometerstand 12521, 133. Reisetag. Wetter 23 Grad, heiter mit Schauern, abends bewölkt.
Und wieder stellen wir uns direkt an den Chuya Fluss. Wenn wir rechts aus dem Fenster schauen, sehen wir nur Wasser, so dicht stehen wir am Ufer. Wir fühlen uns wie auf einem Schiff, ich überlege schon, ob wir in unseren Gran Hermano ein Bullauge einbauen lassen sollten, um dieses Gefühl zu perfektionieren. Nach fast drei Wochen sind dieser Blick und das Rauschen des Flusses Normalität geworden, das gehört mittlerweile einfach zu unserem Leben dazu.
Die Distanz zur Heimat ist für mich hier am größten geworden. Kilometermäßig nähern wir uns ihr schon seit Südost- Kasachstan wieder, doch geistig habe ich mich seitdem noch weiter entfernt. Das äußert sich vor allem dadurch, dass die Unruhe des Geistes und der Aktionismus im Verlauf der Reise immer mehr nachgelassen haben, bis sie nach über vier Monaten endlich fast nicht mehr existieren. Die Gedanken, was ich noch alles sehen und machen möchte, kommen gar nicht mehr auf. Dort wo ich bin, will ich auch sein. Es ist einfach nur schön, hier zu sein. Wenn es mich irgendwann weiter zieht, will ich nur ein kurzes Stück weiter. Es könnte einfach nur immer so weiter gehen…
An diesem Platz am Fluss feiern wir unseren sechsten Hochzeitstag und einen Tag später den zwölften Jahrestag unseres Zusammenseins. Am letzten Abend haben wir dann sogar noch eine Verabredung. Es kommen Thomas und Verena, wir haben ihnen unseren Standplatz “Chuysky Trakt, km 771” mitgeteilt. Die beiden reisen in einem Mercedes Kurzhauber-LKW (Bj. 1963, wie unser Gran Hermano) schon seit Juli quasi immer 2 Wochen nach uns auf der gleichen Route, wollen nun weiter über die Mongolei und China nach Südostasien. Diese Route führt nicht durch Tibet und ist daher noch möglich. Über das Internet konnten wir uns immer gegenseitig verfolgen, wir kannten uns über das Allrad-LKW-Forum schon seit der Zeit der Vorbereitung. Durch unseren längeren Aufenthalt im Altai ist die Entfernung zwischen uns geschrumpft, Zeit für ein erstes persönliches Treffen fern der Heimat. Es wird ein sehr lustiger Abend, wir sind uns quasi auf Anhieb sympathisch. Am nächsten Morgen bedauern wir alle, dass wir nicht ein längeres Stück gemeinsamen Weges haben oder gar die Mongolei zusammen durchqueren. Dann brechen wir alle auf. Thomas und Verena reisen weiter Richting Mongolei, und wir beginnen unseren Abstieg aus dem Gebirge zurück in die Ebenen Sibiriens.
Unterwegs gibt es noch ein paar rudimentäre Felszeichnungen am Wegesrand zu bewundern. Während der Fahrt merken wir, wie herbstlich im Vergleich zur Hinfahrt vor drei Wochen alles aussieht. Die Fahrt Richtung Norden bietet noch imposantere Ausblicke auf Fluss als anders herum, Schluchten und Canyons, leuchtend in den flammenden Farben des Herbstes. Die meisten Souvenirstände sind mittlerweile geschlossen, die Saison ist vorbei. Unglaublich, der Regen empfängt uns fast an der gleichen Stelle, an der wir ihm auf dem Hinweg entkommen sind. An dem Platz, an dem wir zum ersten Mal den Ofen angeschmissen haben, ist es genauso naßkalt, wie auf dem Hinweg. Wir stellen dafür fest, dass das Heizen zur Routine geworden ist. Auf- und Abbau des Ofenrohres gehen flüssig und doppelt so schnell von der Hand, alles hat jetzt seinen Platz.
Leider müssen wir bei dem jetzt wieder grauen Himmel und längeren Tagen ein teilweises Versagen der Solaranlage feststellen. Obwohl abends zu 100 % aufgeladen, sind morgens die Batterien mit insgesamt 320 Ah Ladekapazität fast leer. Rein rechnerisch hätten sie vier Tage ohne Nachladen halten müssen. Sie sind vom Kaufdatum her auch noch nicht zu alt, aber bei Käufen aus dem Internet kann man schon mal den einen oder anderen Reinfall erleben, was sich dann meistens erst unterwegs zeigt.
Kurz bevor wir dann die Berge ganz verlassen, stellen wir uns schon mittags noch ein letztes Mal auf einen schönen Platz unter Tannen am Katun- Fluss, quasi als Abschied. Die Berge hier erscheinen uns schon klein, auf dem Hinweg waren es die ersten, die aus der Ebene aufragten, damals erschienen sie uns groß und mächtig. Wir sehen daran mal wieder, wie relativ und subjektiv doch alles ist, eine Frage des Standpunktes und dessen, was man erlebt hat. Wir erleben noch einmal einen der letzten warmen Tage dieses Sommers in der Region, selbst der Ofen kann abends noch einmal aus bleiben.
Am nächsten Morgen geht dann alles sehr schnell: Nach einer Stunde Fahrt liegen die Berge und unser Altai Erlebnis hinter uns. Kurze Zeit später Brettern wir durch die Ebene Richtung Biisk, wo wieder einmal Auffüllen der Vorräte angesagt ist. Abends stehen wir in einem Birkenwäldchen, die Zeiten am Fluss in den Bergen sind vorbei. So wird es wohl die nächsten Wochen häufiger aussehen, der Rückweg durch Sibirien ist lang. Doch Wehmut kommt nicht auf, die Reise geht einfach weiter, den Blick nach vorn. Nun kann man sagen, die Rückreise beginnt.