Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Moskau 11.10.2012, Kilometerstand 16511, 155. Reisetag. Kilometer bis nach Hause: noch etwa 1300 plus 770 km Fähre Klaipeda – Kiel. Fünf Tage Aufenthalt vom 11.-16.10. Wetter 8-11 Grad, wechselhaft – sonnig oder bewölkt mit Regen und Wind.
Wir sind froh, als wir unser Moskauer Hotel bezogen haben und der Verkehrshölle entronnen sind. Ab nun können wir uns einfach und ohne Stau mit der Metro fortbewegen. Immer wenn wir auf unseren Stadtbummeln irgendwo Straßen sehen, sind diese hoffnungslos verstopft. Die Metro dagegen kommt mit den Dimensionen dieser Stadt klar. Es gibt nur einzelne Linien, auf denen alle 2-3 Minuten ein Zug fährt. Wenn man den richtigen Bahnhof zur richtigen Linie gefunden hat, kann man also einsteigen, ohne auf Schilder zu achten, wohin diese Bahn denn nun fährt. Zum Umsteigen muss man dafür immer in einen anderen Bahnhof laufen, der dann an den Umsteigepunkten meistens darüber oder darunter liegt. Im Gegensatz zu unseren S- und U- Bahnen haben die meisten Leute so viel Zeit, dass sie auch bei langen Rolltreppen rechts stehen bleiben und nicht das Rennen anfangen.
Moskau ist die größte Stadt Europas, einfach gigantisch. Moskau ist auch eine der teuersten Städte der Welt. Im Zentrum ist alles modern, gigantisch, edel und schick. So alt und grau und wie man sich die Stadt bei uns vorstellt ist sie innendrin schon lange nicht mehr. Diese Zonen findet man weiter draußen in den Vorstädten, wo vor den Häuserblocks die Menschen mit den Wodkaflaschen in der Hand stehen. In der Innenstadt laufen edel gekleidete Frauen mit Einkaufstüten voll teurem Markenzeugs und wichtige Männer mit i-phone am Ohr und i-pad in der Hand herum und bevölkern die Sushi Bars, Kafes und Restaurants, von denen es reichlich gibt. Der halbe Liter gezapftes Bier kostet 6-10 Euro, ein Snack kostet 10 Euro, eine echte Mahlzeit 20-30 Euro, nach oben ohne Grenze.
Irgendwann stehen wir auf dem roten Platz, wo uns die Basilius Kathedrale als erstes in den Bann schlägt und magnetisch anzieht. Man kennt sie aus dem Fernsehen, doch erst als wir davor stehen, erkennen wir, wie irre diese Kirche eigentlich aussieht. Wie im Märchen steht sie vor uns, irgendwie anarchisch anmutend mit ihren bunten Türmchen, von denen jedes anders aussieht. Es ist doch faszinierend, dass eine so strenge Organisation wie die Kirche so etwas bauen kann. Mit dem Bau dieser Kathedrale scheint mir die Institution Kirche Gott hier näher zu sein als in vielen anderen Kirchen, die meiner Meinung nach viel zu sehr nur die Allmacht betonen und die anderen Eigenschaften Gottes in den Hintergrund treten lassen. In der Basilius Kathedrale sehe ich auch die Kreativität und die Liebe Gottes besser betont. Wir sind uns einig, dies ist die schönste Kirche, die wir bislang gesehen haben, wahrscheinlich sogar die schönste Kirche der Welt. Klar, dass wir auch hineingehen, auch wenn wir nicht zu den sehr aktiven Kirchenbesichtigern gehören. Es lohnt sich, innen ist die Kirche unkonventionell verwinkelt und repräsentiert auch dort ihren Charme. Wie alle russisch orthodoxen Kirchen ist sie reichlich bemalt und verziert, man hat dort ein Museum errichtet und es stehen überall alte Ikonen und Metallarbeiten herum. Vor den Augen der Besucher wird dort noch gemalt und restauriert. Der Höhepunkt ist ein kleines Ensemble, das in den alten Mauern alte russische Musik a capella singt, was in der Kapelle klingt wie mit einer großen Anlage verstärkt. Den ganzen Tag noch sind wir fasziniert von der Ausstrahlung, die diese Kathedrale hat. Ein Bummel durch den Konsumtempel GUM, gleich auf dem roten Platz nebenan, wirkt dagegen schnöde, einzig die Architektur fasziniert. Dieses Kaufhaus wirkt wie eine Mega- Ausstellung aller überteuerten Modemarken der Welt, deren Produkte wir bestimmt nicht brauchen, in alten ehrwürdigen Gemäuern.
Interessantere Dinge finden wir einen Tag später auf dem Izmailovo Markt, auf dem Souvenirs, Trödel und Antiquitäten nicht nur für Touristen auf einem immens großen Gelände angeboten werden. Wir brauchen fast einen ganzen Tag, um alles zu sehen, und kaufen (wie immer kurz vor Reiseende) noch ein paar Mitbringsel für die Daheimgebliebenen. Wegen des angeschlossenen Antiquitätenmarktes wird es trotz der Größe nicht langweilig, und auch die surreale Kulisse, die dem Ganzen ein wenig Disneyland Atmosphäre verleiht, bietet immer wieder interessante Eindrücke. Ob die alten Kirchenbilder und Ikonen auf dem Antiquitätenmarkt echt oder legal erworben sind, weiß ich nicht.
Auch dem Besuch des Kreml widmen wir einen Tag. Immerhin ist dort seit Jahrhunderten eines der Machtzentren der Weltpolitik, und da Russland mit etwas über 8 % des BIP eine sehrt geringe Staatsverschuldung hat, wird es auch in Zukunft noch selber bestimmen können, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Wie es sich für ein autoritäres Machtzentrum gehört, bekommt auch der Besucher zu spüren, wer hier das Sagen hat. In die Nähe der echten Macht kommt man nicht, denn im Kreml ist nur ein kleiner historischer Bereich für Besucher freigegeben. Wer die Straße einfach irgendwo und nicht auf dem Zebrastreifen überquert oder das freigegebene Gelände verläßt, wird sofort von einem der Aufpasser zurückgepfiffen. Aber für das was man sehen darf, lohnt es sich, hierher zu kommen. Ein Kreml ist eine ummauerte Festung, die es in Russland nicht nur in Moskau gibt. Der Moskauer Kreml ist dreieckig mit einer Seitenlänge von etwa einem Kilometer. Neben der weltlichen Macht residiert hier auch der Patriarch, das Oberhaupt der russischen Kirche. Deswegen gibt es hier neben aktiven und ehemaligen Regierungsgebäuden auch einige der schönsten und größten Kathedralen Russlands zu sehen. Einige alte Kanonen, darunter die Zarenkanone, die mit 40 Tonnen eine der größten der Welt war (geschossen wurde daraus nie) sowie die größte Glocke der Welt (die nie geläutet hat, weil sie beim Gießen kaputtgegangen ist) runden das Bild ab.
An einem Stand mit alten Büchern kaufe ich noch zwei Bücher über die russische Art, zu Hause einen Garten zu betreiben und Tiere zu halten sowie ein Buch wie man sich selber ein Haus baut. Es handelt sich um die russischen Entsprechungen des “großen Buchs vom Leben auf dem Lande”, eine Art Anleitung, zum autarken Wirtschaften. So kann ich zu Hause mein Wissen um russische Techniken der Subsistenzwirtschaft erweitern. Ich denke, spätestens wenn das aktuelle Wirtschaftssystem, das ja schon in den letzten Zügen liegt, zusammenbricht, wird dieses Wissen sehr hilfreich sein.
Während unseres Aufenthalts in Moskau vollzieht sich schon langsam der schleichende Übergang zum Leben und Lebensstil zu Hause. Die letzte Etappe ist absehbar, und so buchen wir für den 22.10. schon die Fähre von Klaipeda nach Kiel, es könnten ja die Kabinenplätze vorher ausgebucht sein. Damit ist der Übergang vom nomadischen Lebensstil zum planerisch- seßhaften Lebensstil vollzogen. Nicht nur das heute ist interessant, auch das morgen wird wieder in die Handlungen einbezogen. Eigentlich war auch der 12.10. mein erster Arbeitstag. Denn für den Internethandel, der schon maßgeblich an den Ersparnissen für diese Reise beteiligt war, tätige ich über das Netz die ersten Einkäufe. Das Internet macht es möglich, man muß nicht mehr die Reihenfolge “erst heimkehren, dann anfangen zu arbeiten” einhalten.
Am 16.10. verlassen wir dann unser Hotel und treten die letzte Etappe der Reise nach Klaipeda in Lettland an. Da wir geplant haben, werden wir wenn alles nach Plan läuft (insch Allah), am 23.10. um 12 Uhr mit der Fähre in Kiel eintreffen und haben dann noch 35 km nach Hause zu fahren.