Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Kazan 5.10.2012, Kilometerstand 15643, 149. Reisetag. Kilometer bis nach Hause: noch etwa 2133 plus 770 km Fähre Klaipeda – Kiel. Drei Tage Aufenthalt vom 5.-8.10. Wetter 8-15 Grad, wechselhaft – bewölkt mit Regen, Wind und kurzen Sonnenabschnitten.
Was für ein Kontrast! Vor vier Stunden hatten wir uns noch mit letzter Kraft und dem Rest Traktion, den verschlammte Reifen auf die Erde bringen, im Regen aus dem Schlamm gewühlt, nun sitzen wir in einer eleganten Hotelsuite mit zwei Zimmern und zusätzlicher Küchen-Bar mit Sitzecke. Wir dachten uns einfach: Das haben wir uns nun aber verdient! Der Schlamm klebt noch unter der Schuhen, man bekommt ihn nur mit dem Messer ab, er hat sich auf der Hoteltreppe und auf dem Flur verteilt. Doch niemand nimmt uns das Krumm, die Damen im Hotelempfang sind wirklich sehr nett und fasziniert, als wir den Gran Hermano auf den Hotelparkplatz fahren (“Ach so, nun verstehe ich, warum Ihr sagt – der ist aber wirklich groß”). Camping in der Stadt kann im Sommer auch recht schön sein, bei diesem Wetter und um diese Jahreszeit macht es wenig Spaß. Und nach all den Monaten in der Wildnis ist es ein echtes Erlebnis, sich im Luxus zu aalen. Als erstes duschen wir natürlich lang und ausgiebig. Die letzte Dusche (und der letzte Hotelaufenthalt) war Mitte Juli, vor zweieinhalb Monaten, in Samarkand. Seitdem haben wir uns ausschließlich mit der Schüssel gewaschen oder in Seen oder Flüssen gebadet. Auch das war im Sommer stets ausreichend, wird aber mit fallenden Temperaturen immer weniger lustig. Ich wasche meine Haare so lange, bis der Schaum nicht mehr dunkel ist. Fünf Mal muss ich sie dafür einschäumen, das ist mein neuer persönlicher Rekord. Am ersten Tag ist dieser Luxus eines Zimmers mit so viel Komfort neu und aufregend, wir sitzen einfach da und genießen ist. Wir schlafen wieder in einem richtigen Bett, wälzen uns nachts aber unruhig hin und her anstatt zu schlafen. Wir sind diese nächtliche Wärme nicht mehr gewohnt, in den letzten Nächten war es im Gran Hermano zwischen 4 und 10 Grad “warm”. Die Tage in Usbekistan, in denen es im Auto nie unter 23 Grad warm war, sind lange vorbei, zu der Zeit wäre unser Zimmer angenehm kühl gewesen.
Kazan ist die Hauptstadt der zu Russland gehörenden Republik Tatarstan. Bis ins 16. Jahrhundert gab es hier ein eigenes Khanat, dann wurde das Reich der Tataren und damit Kazan unter Iwan dem Schrecklichen erobert dem Russischen Reich einverleibt. Damit begann auch die Expansion des russischen Reiches auf nichtslawische Gebiete. Die Stadt hat 2005 ihr offizielles 1000 jähriges Jubiläum gefeiert und ist heute eine moderne Stadt und sowohl Zentrum des russischen Islam als auch Schmelztiegel östlicher und westlicher Kulturen. Der Kreml, eine Festungsanlage, die nach der Eroberung durch Russland auf den Ruinen des alten Khans- Palastes errichtet wurde, beherbergt orthodoxe Kirchen, einige gigantische Gebäude mit Museen, den Regierungssitz des Präsidenten von Tatarstan und seit 2005 auch eine nagelneue Moschee, die Kul Scharif Moschee, die in etwa dort steht, wo vor der Eroberung die alte Moschee gestanden hat. Dieser Neubau ist wohl auch ein Angebot zur Versöhnung mit der alten Eroberungsgeschichte. Der Stern auf dem Eingangsturm zum Kreml ist von 1930 und wurde einfach belassen, weil sowohl das Kreuz als auch der Halbmond einen Teil der Bevölkerung nicht repräsentieren würde. Repräsentiert der Stern dafür nun eher alle oder niemanden?
Auf unseren Gängen durch die Stadt treffen wir auf jede Menge gigantischer und pompöser Gebäude aus verschiedenen Epochen. Ich habe noch nie so viele Theater, Opernhäuser und Konzerthallen in dieser Konzentration gesehen. Auch Wohnhäuser und Verwaltungsgebäude sind überdimensional. In der Stadt wird überall gebaut, und nicht nur auf Großbaustellen, sondern auch bei der Restaurierung von z.B. der Treppe eines Gebäudes wird nachts und Sonntags durchgearbeitet. Selbst wenn nur noch Mauerfragmente stehen, wird dahinter ein Beton- Neubau errichtet, die alten Mauerfragmente davor dann jedoch liebevoll teilweise in Handarbeit restauriert, sodass das fertige Gebäude dann aussieht wie das eigentlich schon zerstörte Gebäude, das davor einst gestanden hat. Die Ausmaße, auch wenn alles kleiner ist, erinnern mich irgendwie an den Umbau des Potsdamer Platzes in Berlin nach der Wende. Wenn das einmal fertig ist, wied hier wohl eine der elegantesten Innenstädte Europas stehen.
Kazan ist für uns, die wir aus Sibirien heimkehren, auch ein weiterer Meilenstein Richtung zu Hause. Ab hier beginnt das eigentliche Kern- Russland, in dem sich auch die ganzen Welt- Konzerne wie Mac Donalds, KFC, Media Markt, Real usw. in der Fußgängerzone (!) oder Innenstadt niedergelassen haben. Wieder einmal frönen wir auch dem Luxus und gehen täglich in verschiedenen Restaurants essen. Dafür muss man natürlich ausreichend Geld mitnehmen, mit dem Geld für drei Tage Kazan sind wir im Altai zwei Wochen ausgekommen. Ist das Preisniveau in Russland für Gemüse auf dem Markt noch niedrig, so ist es in Supermärkten für normale Produkte schon wie bei uns, und in den Restaurants und Bars in den Innenstädten ist die Richterskala nach oben offen. Doch für uns ist auch ein gut gemachtes Essen statt einer ungewürzten und übergarten Pampe an den Truck Stops nach so langer Zeit ein echter und wohlverdienter Genuss.