Bordbuch-Eintrag: Ankunft im Nationalpark Ile-Alatau 24.7.2012, Kilometerstand 8914, 75. Reisetag. Höhe des Standplatzes ca. 1.700 Meter. Wetter 26 Grad, die Sonne brennt. An Tagen, für die der Wetterbericht Regen vorausgesagt hat, regnet es tatsächlich bis zu 30 Minuten lang, dabei erreichen ca. 18 Tropfen pro Quadratmeter den Boden.
Almaty ist für Besorgungen, Erledigungen und Visa strategisch günstig. Bei dieser 1.4- Millionenstadt, die alles hat, liegen die Berge und ein Nationalpark quasi direkt vor der Haustür, sodass man alle Erledigungen noch mit echtem Urlaub in schöner Umgebung verbinden kann.
Nach den langen Strecken der letzten Wochen ist Sylvia am Ende ihrer Kräfte und benötigt mindestens eine Woche Regenerationszeit. Auch ich freue mich sehr über echten “Urlaub” und Lagerleben, das macht ja eigentlich den besonderen Reiz einer Langzeitreise aus. Fahren ist (zumindest in diesen Gegenden) hart und die Erlebnisse sind intensiv, aber mit Urlaub hat das wenig zu tun, auch wenn das zu Hause auf dem Sofa niemand einsieht. Sobald man irgendwo länger steht, kann man sich erholen, die Zeit verlangsamen und eine Gegend “richtig” kennenlernen, d.h. auch versteckte kleine Wunder und Geheimnisse entdecken. Für das “Lagerleben” ist auch schon gesorgt: Karsten und Sylvia mit Hund Loukas, mit denen wir schon einige Tage in Atyrau verbracht hatten, sind bereits seit über einer Woche hier und haben bereits den schönsten Platz gefunden. Nach einigen Tagen kommt dann noch das holländisch-deutsche Paar Mariolein und Haimo, unterwegs im Mitsubishi L 300, hinzu. Die “Freizeit” (wenn man weder wandert noch sonst etwas macht) und die Abende sind interessant und kurzweilig, endlich gibt es auch mal wieder “artgerechte” Freizeitgestaltung: Grillen, Bier trinken und sich in seiner Muttersprache unterhalten. Themen gibt es genug: Geschichten von unterwegs, Pläne, Technik und wenn es dunkel wird auch elementare Lebensphilosophie.
Auch unser Gran Hermano braucht mal wieder ein wenig Wartung, er ist immerhin auch schon fast 50 Jahre alt. Vor allem ist wieder einmal der Abschmierdienst fällig, ca. 30 Schmiermippel wollen mit Fett befüllt werden. Ursprünglich hatte ich die Fettpresse nicht mitgenommen, da ich die Sauerei auslaufenden Fetts gefürchtet hatte. Nachdem ich in Atyrau den Schmierdienst hatte machen lassen, bin ich von dieser Taktik abgekommen. Die Fettpresse wurde dort extra wegen mir angeschafft, danach hatte es Stunden gedauert, bis ihre Funktion verstanden und der Schmierdienst durchgeführt wurde. Die Nippel musste ich sowieso zeigen, einige hatte ich dabei auch vergessen. Aus diesem Grund fahren wir also nach Car City, einem gigantischen Auto- Zentrum mit hunderten von Läden und Werkstätten am Stadtrand von Almaty. Wieder lerne ich etwas Russisch dazu: Die Fettpresse heißt “Schprizowka”. Wenn das so einfach ist… So bekommt auch der Gran Hermano seine Pflege, einen Tag lang fülle ich diverse Öle nach und mache den großen Schmierdienst. Der Platz ist ideal: Wegen der Höhe ist es nicht zu heiß zum Arbeiten, der Fluss nebenan bietet genügend klares Wasser, um sich hinterher wieder waschen zu können (natürlich nicht direkt im Fluss wegen dem Schmutz).
Die Umgebung ist interessant und schön, was will man mehr. Irgendwie ist es wie in den Alpen (ein klarer Gebirgsfluss rauscht direkt neben unserem Lager ins Tal, wir sind eingerahmt von tannenbewachsenen Steilhängen, in der Ferne leuchten die schneebedeckten Gipfel der Viereinhalbtausender), irgendwie aber auch nicht (wir sind nur 15 km von einer Millionenstadt entfernt, doch außer ein paar Autofahrern, die am Tag am Fluss grillen und einigen jungen Menschen, die zum Bumsen hierher kommen, weil sie zu Hause nicht dürfen, ist es hier ziemlich leer, vor allem auf den Wanderwegen). Einziger Wermutstropfen ist (wie wohl in allen Ex- Sowjetrepubliken) der Müll, der trotz vorhandener Mülleimer einfach in die Gegend geworfen wird.
Für eine Wanderung im Hochgebirge dürfen wir uns das Motorrad von Karsten und Sylvia ausleihen. Man muss dafür um fünf Uhr morgens aufstehen, denn um diese Zeit sind die zwei Schranken der Park- Ranger und des Militärs noch nicht besetzt, und man kann bis zum Ende der Straße auf 3.300 Meter durchfahren. Ab sieben Uhr ist an den Schranken Arbeitsbeginn und man wird nicht mehr durchgelassen. Höher als 2.200 Meter kommt man dann nur zu Fuß. Wenn man tagsüber wieder zurück nach unten fährt, meckert aber niemand, man wird freundlich durchgewunken. Runter kommt man eben immer. Schnell und wendig wie eine Gazelle kurvt das Motorrad hinauf, der Gran Hermano würde sich hier bei hoher Drehzahl im zweiten Gang langsam die Serpentinen hochwälzen. Am Ende der Straße erwartet uns die Forschersiedlung Kosmostanzia (zu Deutsch Weltraumstation). Es handelt sich um eine voll verkabelte, ziemlich skurril aussehende Forschungsstation für was auch immer, inmitten der schönsten Hochgebirgslandschaft gelegen. Viele Gebäude sind schon verfallen, obskurer Geräteschrott liegt überall herum. Eine Hand voll Forscher betreiben die noch heilen Geräte. Weiter unterhalb liegt noch ein verlassenes Stern- Observatorium, in dem alte Geräte, Bücher, Fotos und Aufzeichnungen die Phantasie beflügeln. Ausgedachte Apperate für einen Frankenstein- Film hätte man nicht besser machen können.
Hinter Kosmostanzia beginnt die Hochgebirgswelt, die sich über die Grenze nach Kirgisien erstreckt. Wir gehen bis auf 3.500 Meter Höhe und erfreuen uns an der bunten Blumenwelt der Hochgebirgswiesen. Auch wenn wir uns Mühe geben, ist es kaum möglich, beim Gehen nicht auf Enzian oder Edelweiß zu treten. Im Gegensatz zu den Alpen treffen wir auf keine Menschenseele, obwohl die Großstadt Almaty tief unter uns im Dunst noch in Sichtweite ist. Weil sich selten jemand hier hin verirrt, gibt es außerdem auch keinen Müll, wie angenehm. Das traditionelle Mittagsbier gibt es an diesem Tag wegen des frühen Aufstehens schon um 8:50 Uhr bei herrlichen Rundumblick.
Mittlerweile sind wir schon zehn Tage an diesem Platz, morgen fahren wir weiter. Mariolein, Haimo, Karsten, Sylvia und Loukas sind auch schon weg. Bevor wir weiter fahren, müssen wir nur noch entscheiden wohin, doch davon erzählt der nächste Beitrag.