Bordbuch-Eintrag: Ankunft am Chuya River 31.8.2012, Kilometerstand 12047, 114. Reisetag. Wetter 19 Grad, die Sonne kämpft sich durch die Wolken.
Langsam aber stetig wird das Gebirge immer schroffer, felsiger und die Landschaft immer einsamer, je mehr wir uns der mongolischen Grenze nähern. Städte werden immer seltener und immer kleiner, alle 50 km kommt noch ein etwas größerer Flecken mit ein paar 1000 Einwohnern. Sind wir in Nord- Norwegen, in Kanada oder in einem abgelegenen Alpen- Tal? Oder doch im Altai- Gebirge? Die Landschaft alleine verrät es nicht, doch wenn man Menschen begegnet, sieht man sofort: Die Mongolei ist nicht mehr fern. Es sind zwar überwiegend Kasachen, die hier wohnen, aber wohl auch durch die vielen Fernsehberichte über den mongolischen Altai (wo ebenfalls viele Kasachen leben) finden wir, dass sie “mongolisch” aussehen. Nachdem die Straße den Lauf des Flusses Katun verlassen hat, windet sie sich durch immer steilere Schluchten des Flusses Chuya entlang, dem dieser Abschnitt der M52 auch seinen Namen verdankt: “Chuysky Trakt”. Der Mongolei- Reisende kann hier noch einmal die traumhafte Straße genießen, bevor er sich dann hinter der Grenze den richtigen Weg aus den vielen Fahrspuren selber aussuchen muss.
Immer wieder gibt es traumhafte Plätze an einer der zahlreichen Flussbiegungen, die zum Verweilen einladen. Einige sind schon mit kommerziellen Campingplätzen und Blockhütten belegt, auf anderen Plätzen sieht man nur anhand der Feuerstellen, dass auch hier schon der eine oder andere übernachtet und gegrillt hat. Auch wenn ich die Gesetze nicht kenne, so etwas wie das skandinavische “Jedermanndrecht” scheint es hier auch zu geben. Wenn man einen schönen Platz in der Natur findet, ist es absolut normal und üblich, dort auch tagelang zu verweilen. Der echte Russe hat bei solchen Unternehmungen auf jeden Fall seine Angel dabei und grillt abends.
Solch einen Platz haben wir nun auch gefunden, direkt am Fluss, mit einigen alten Birken, die in Sibirien obligatorisch sind. Umgeben sind wir von schroffen Bergen, teils felsig, teils bewaldet. Schon am Tag der Ankunft zeigt sich, dass die Sonne sich anschickt, die tiefhängenden Wolken wegzubrennen, ab dem zweiten Tag haben wir wieder wolkenlosen Himmel und angenehmes Urlaubswetter, ideale Voraussetzungen für ein paar erholsame Tage am Fluss, die wir uns nach der letzten Fahrt- Etappe auch wieder verdient haben. Die Nächte dagegen werden kühl, der Ofen bleibt abends und morgens in Betrieb, Treibholz gibt es am Flussufer genügend.
Durch die bereits hinter uns liegenden Wochen und Monate sind ganz allmählich viel Streß und Aktionismus von uns abgefallen, wir haben einen Zustand erreicht, in dem wir einfach am Fluß sitzen, die Gedanken treiben und die Landschaft auf uns wirken lassen können. Wie schon an anderen Orten am Fluss, wirkt das Geräusch des ständig fließenden Wassers positiv auf meine Gedankenklarheit und Kreativität, zudem kann ich nun sowohl zeitlich als auch räumlich mit ausreichender Distanz auf das Leben zu Hause blicken. So verfestigen und verfeinern sich die bereits an anderen Orten angefangen Gedanken und Pläne für das Leben nach dieser Reise und es entsteht ein recht klares Bild, wie wir eine selbständige Existenz mit mehreren Standbeinen nach unserer Rückkehr Schritt für Schritt aufbauen können. Beginnen werden wir mit einer Ausweitung des Internethandels, der sich schon beim Ansparen des Reisebudgets als tauglich und ausbaufähig erwiesen hat. Weitere Ideen wie vielleicht einmal eine eigene Brauerei können dann nach und nach schrittweise realisiert werden. Solche Gedanken in dieser Klarheit zu Hause parallel zu den täglich zu erledigenden Aufgaben oder in einem kurzen Urlaub zu fassen ist schwierig, und so hatte ich mir dies schon vor Beginn der Reise als Aufgabe für unterwegs gestellt. Mit dem Ergebnis sind wir beide zufrieden, und durch unsere frühzeitige Rückkehr von dieser Reise haben wir für diesen Schritt Zeit gewonnen, um alles mit der notwendigen Ruhe und Besonnenheit anzugehen. Die ersten Schritte sind auf jeden Fall schon sehr konkret und es kann quasi sofort losgehen.
Zwei von den Tagen am Fluss nutze ich noch einmal zu einer sorgfältigen Wartung unseres Gran Hermano. Das Wetter wird nicht mehr lange so warm sein, dass es angenehm ist, unter dem Auto zu liegen. Der Hauptteil der Wartung besteht aus einer sorgfältigen Kontrolle aller Schraubverbindungen, dies hatte ich zum letzten Mal in Buchara getan. Seitdem sind wir fast 5.000 km gefahren, etwas über 6.000 liegen noch vor uns. Vor allem Radbolzen und Koffer-, Reserverad- und Tankhalter werden nachgezogen. Auch wenn die meisten Schrauben noch bombenfest sitzen, es findet sich immer die eine oder andere, die eine viertel oder halbe Umdrehung fester gezogen werden kann. Dann fülle ich hier und da noch etwas Öl nach und justiere Bremsen und Handbremse neu, das war’s dann schon. Nach 12.000 km auf Reisen bin ich wieder einmal fasziniert, dass es bei diesem 50 Jahre alten Auto so wenig Probleme gibt. Ein gerissener Keilriemen, ab und zu mal den Auspuff schweißen sowie lose Schrauben, mehr war bislang nicht zu vermelden.