Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Barnaul 20.9.2012, Kilometerstand 12809, 134. Reisetag. Kilometer bis nach Hause: noch etwa 5105 plus 770 km Fähre Klaipeda – Kiel. Wetter 15 Grad, Wolken, Sturm und Regenschauer.
Seit wir das Altai Gebirge verlassen haben, hat für uns die Rückreise begonnen. Das bedeutet vor allem, dass wir keine Schlenker mehr machen, sondern auf mehr oder weniger direktem Weg nach Hause fahren. Zeit genug haben wir trotzdem noch, um auf diesem Weg dort verweilen zu können, wo es uns gefällt. Unser Russland- Visum gilt noch bis Anfang November, also kein Grund zur Eile. Solange das Wetter mitspielt, müssen wir nicht hetzen. Wir haben eine erste Hochrechnung gewagt, wie weit es noch bis nach Hause ist, dies wird ab sofort mit ins Bordbuch geschrieben.
Als erste Station dieser Rückreise laufen wir die Stadt Barnaul an. .”Wer in Deutschland hat diesen Namen je gehört?”, denke ich mir. Doch diese Stadt ist mit 575.000 Einwohnern nicht klein, und nachdem es Thomas und Verena dort so gut gefallen hatte, machen auch wir einen Zwischenstopp in Barnaul. So wie es die beiden einige Tage vorher getan haben, stellen auch wir uns auf einen Parkplatz vor einem recht zentralen Bürogebäude und übernachten dort. Am Tag herrscht dort reger Betrieb, nachts ist unser Gran Hermano das einzige Fahrzeug auf dem Platz.
Die Innenstadt, Restaurants, Bars, alles liegt direkt vor unserer Haustür. Nach Wochen und Monaten in der Natur finden wir hier eine willkommene Abwechslung. Wir fühlen uns fast wie in Deutschland in einer unbekannten Stadt. Keiner schaut uns an, weil wir fremd aussehen, denn die Menschen hier sehen alle sehr europäisch aus. Wenn wir jemanden ansprechen, antwortet er auch nicht betont langsam, sondern es kommt ein ganzer Wortschwall an Russisch in einem affenartigen Tempo. Davon verstehe ich höchstens 15%, doch das reicht manchmal schon, um den Sinn zu erfassen. Wenn ich etwas kaufe, wird mir auch ganz normal der Preis gesagt. In Kasachstan und Usbekistan hat man den Preis immer in diese riesigen quadratischen Taschenrechner eingetippt, die irgendwie jeder Verkäufer von egal was hat, und mir den dann unter die Nase gehalten.
Das Highlight ist vor allem, dass wir wieder essen gehen können. Wer auf immer gleiches Shashlyk und Plov steht, kann dies auch in Kasachstan oder Usbekistan tun (in UZ sogar mit einer 93-prozentigen Wahrscheinlichkeit, davon krank zu werden), hier hingegen gibt es wieder richtige Restaurants mit Ambiente, echter Speisekarte und wirklich lecker Essen.
So schreibe ich nun über ganz normale Dinge, doch wer ein wenig weiter denkt, kann daran erkennen, wie wir uns in den letzten vier Monaten davon entwöhnt haben. Wenn das alles selbstverständlich wäre, würde ich ja nicht darüber schreiben. Und so wie ich jetzt sage “Fast wie zu Hause” würde ein frisch per Flieger gebrachter Reisender sagen “Ganz schön fremd und anders hier in Sibirien”.
Auch sonst gefällt uns diese Stadt. Sie ist irgendwie schon typisch russisch, auch wenn wir uns hier schon fast zurück in Deutschland fühlen. Einige schiefe alte Holzhäuser aus der Pionierzeit mitten in der Innenstadt, umzingelt von Hochhäusern sowie die wirklich überdimensionalen Verwaltungsgebäude und gigantischen Plätze am Lenin-Prospekt, der zentralen Flanierstraße, die natürlich auch mordsmäßig breit ist – all das ist doch Russland pur oder nicht? Und dann sind da noch die hypermodernen, spacemäßigen Einkaufszentren, die wir betreten, weil nach vier Monaten Zentralasien zwei meiner drei Jeans auf sind. Doch neue Jeans findet man dort nicht (vielleicht auch besser so, denn sie würden mindestens 250 Euro kosten). Die Glamour-High-Society-Upper-Class ist hier unter sich, und es gibt auch nur entsprechenden Schmuck und Marken-Schnick-Schnack auf vier Etagen. Den richtigen Ort für Jeans finden wir später in Form eines gigantischen Outdoor- Klamottenmarktes mit hunderten von Ständen, man wird garantiert von jedem Verkäufer angesabbelt, an dem man vorbeigeht. Die Qualität ist schlecht, der Preis ist gut. Doch irgendwie finde ich mein Sahnestück, anprobieren muss ich es auf offener Straße. Immerhin, es gibt ein kleines Holzbrett mit Teppich, wegen kalter Füße. Doch die Mühe lohnt sich, sie passt.
Zum Schluss haben wir es dann einfach: Aus der letzten Bar wanken wir 100 Meter über die Straße in unseren Gran Hermano, der auf dem Parkplatz nicht wirklich waagerecht steht. Doch an diesem Abend stört uns das wenig…