Erster Sonnenbrand
Bordbuch-Eintrag: Ankunft am Simstrand in Österö 20.7.2015, Kilometerstand 5512, 56. Reisetag. Wetter 21 Grad, die Sonne brennt.
Nach Verlassen des Campingplatzes am Strand des Pielinen- Sees steht als erstes ein touristischer Pflichtbesuch an, die Aussicht vom Ukku-Koli, der den See um 250 Meter überragt. Es ist Sonntag und der Ukku-Koli gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Finnlands – als erfahrene Reisende wissen wir, dass an allen Sehenswürdigkeiten weltweit von Südamerika über Asien bis nach Europa an Wochenenden die Hölle los ist und solche Orte deswegen zu diesen Zeiten strikt zu meiden sind. Aber wir wollten vorher ausreichend lange am Strand bleiben, also müssen wir müssen wir dieses Übel jetzt auf uns nehmen. Vom mit Bussen und Autos zugeparkten Parkplatz wählen wir einen Nebenweg durch den Wald, um dort hinzukommen, der Trubel hält sich dadurch solange in Grenzen bis wir den Aussichtpunkt erreicht haben. Dort ist dann wirklich die Hölle los, aber der Ausblick von hier ist es wert. Im Wald, von den Wegen und Straßen um den Gipfel herum fehlt der Rundumblick, den man von hier oben hat. Danach suchen wir aber schnell das Weite und nehmen Kurs auf das 450 km entfernte Vaasa, von wo aus wir über den bottnischen Meerbusen nach Schweden übersetzten wollen. Abends sind wir schon wieder alleine in der Stille des Waldes und genießen es, wieder unter uns zu sein.
Die Fahrt Richtung Vaasa führt durch die finnische Seenplatte; wie auch auf den anderen Etappen sind die Ufer größtenteils nicht zugänglich und es findet sich kein Stellplatz für einen längeren Aufenthalt. So erreichen wir zwei Tage später schon den Ostsee, den größten See Finnlands. Eigentlich heißt es „die Ostsee“ und es handelt es sich um ein Meer, aber dort wo wir die Küste erreichen sieht es nicht danach aus. Bevor wir die Hafenstadt Vaasa ansteuern, machen wir einen Abstecher zu den Ausläufern des Kvarken- Archipels, einer Inselkette im bottnischen Meerbusen. Wir fahren auf die Inseln des „Östra gloppet“, die über kleine Brücken mit dem Festland verbunden sind. Die Küstenlinie ist von Buchten und vorgelagerten Inselchen so zerklüftet, dass wir oft nicht feststellen können, ob wir am Festland oder auf einer Insel oder überhaupt noch am Wasser sind. Die Landkarten zeigen viele der kleinen Buchten gar nicht, die Straße führt oftmals weiter landeinwärts durch den Wald wo das Ufer gar nicht sichtbar ist, sodass eine Navigation nach Menschenverstand und Intuition scheitert. Zwei Schweizer Fahrradfahrer auf Suche nach ihrem Wohnmobil von dem aus sie gestartet sind zeigen, dass dies nicht nur uns so geht. Dort wo wir das Wasser erreichen, sehen wir nie offenes Meer, sondern immer Ufer auf allen Seiten sowie zahlreiche Inseln, die oft nur dadurch als Inseln erkennbar sind, dass dort die Sonne scheint, während das Ufer dahinter im Schatten einer Wolke liegt (oder umgekehrt). Da nirgends das offene Meer sichtbar ist, entsteht der Eindruck, dass der Ostsee einer der vielen Binnenseen Finnlands ist.
Wir sind noch nicht bereit, Finnland jetzt schon zu verlassen, also suchen wir vor Reservierung der Fähre nach Schweden an den Ufern des Ostsees nach einem geeigneten Lagerplatz am Wasser. Der Wetterbericht hat weiterhin Sommer angesagt, wir wollen bei dieser Gelegenheit unser während der Reise aufgebautes Wärme- Defizit ausgleichen. Wie die Ufer aller finnischen Seen, ist auch das Ufer des Ostsees an allen zugänglichen Stellen mit Wohn- und Ferienhäusern bestückt. Wir konzentrieren uns also wieder einmal auf jede Lücke, jeden Weg der nicht eine Grundstückseinfahrt ist, um den ersehnten Platz am Wasser zu finden. Nach 25 km Fahrt durch den Wald entlang der Küste kommt dann ein Schild „Allmän vägen upphör“. In diesem Teil Finnlands wird schwedisch gesprochen, zum Glück wieder eine selbsterklärende Sprache (zumindest wer Plattdeutsch versteht weiß – das Schild bedeutet „Ende des öffentlichen Weges“). Wir denken schon „Schade- keinen Platz am Wasser gefunden“ als wir an dieser Stelle noch den kleinen Wegweiser „Simstrand“ entdecken. Dieser zeigt zu einer kleinen öffentlichen Badestelle mit gemähtem Rasen, Grillplatz, zwei verwitterten Holzbänken, zwei Plumpsklos und einer Umkleidekabine, wie für uns geschaffen. Solche abgelegenen Badestellen eignen sich in Finnland auch perfekt als Übernachtungsplätze, und so wird Simstrand für die nächsten vier Tage unser zu Hause. Täglich gegen Nachmittag kommen 2-3 Badegäste für eine Viertelstunde hierher, ansonsten sind wir hier alleine und genießen die Stille, die nur vom Geschrei der Vögel unterbrochen wird – und von einigen LKWs, die das im Wald gefällte Holz abtransportieren. Der Wetterbericht hält was er verspricht, die Sonne brennt für die nächsten zwei Tage ohne Unterbrechung bei 20 Grad. Für skandinavische Verhältnisse ist das brüllende Hitze. Unsere weißen Körper sind durch das bislang vorherrschende Wetter so etwas nicht gewohnt, wir bekommen nach acht Wochen Sommerreise endlich unseren ersten Sonnenbrand.
Da kommt echte Urlaubsstimmung auf, wir packen dazu auch wieder das Gummi- Kanu aus, mit dem man hier am besten die Umgebung erkunden kann, denn an Land sieht man meist nur Wald. Vom Boot aus wird die Vielfalt der Landschaft und Inseln erst richtig erkennbar. Einziger Nachteil: Alles sieht ziemlich unordentlich aus, da überall riesige Felsbrocken im Meer vor den Inseln herumliegen. Hier müsste dringend mal aufgeräumt werden. Die Inseln und Felsen gehören eindeutig den ganzen Vögeln, die krächzend um uns herumfliegen, für eine Paddelpause um ein Bier in der Sonne wegzuzischen eignen sie sich aber auch ganz gut.
Apropros Bier: Auch Dr. Drunk kommt auf seine Kosten. Das auf den Lofoten gebraute Bier hat die seitdem zurückgelegten 3.300 Fahrtkilometer bestens überstanden und ist jetzt, vier Wochen später, auf dem Höhepunkt seiner Reife und seines Geschmacks. Es schmeckt ausgezeichnet, so wie es sein soll, und wird am Simstrand nun endgültig vernichtet (bis auf die eine Flasche für unseren guten Ralf, der zu Hause nach dem Rechten sieht). Die letzte Sorge beim Bierbrauen auf Reisen wurde damit entkräftet: Reisen und Fahren schadet dem Bier während der Flaschengärung und Reifung nicht. Keine Flasche ist explodiert, keine Flasche ist schal und ohne Kohlensäure geblieben. Wie auch zu Hause gibt es einige eher explosive Flaschen, für die man beim Einschenken etwas Übung braucht. Das nomadische Bierbrau- Experiment wurde damit erfolgreich beendet, Wissen über anstehende Optimierungen wurde eifrig niedergeschrieben.
Mit diesem schönen Platz als Abschluß des Finnland- Teils unserer Reise sind wir nun zufrieden, haben die Fähre von Vaasa nach Umea reserviert, um am Sonnabend nach Schweden überzusetzen.