Bordbuch-Eintrag: Ankunft in Shebalino 29.8.2012, Kilometerstand 11845, 112. Reisetag. Wetter 15 Grad, Dauerregen.
Das Angebot frischen Gemüses am Straßenrand paßt sich mit den Kilometern der Klimazone und der Jahreszeit an. Melonen und Weintrauben werden seltener und verschwinden allmählich, dafür kommen jetzt Pilze neu ins Sortiment. Auch die wollen wir natürlich probieren, und so halten wir an einem solchen Pilz- Stand im Wald an und kaufen einer älteren Frau ein Kilo ab. Direkt hinter dem Verkaufsstand im Wald werden schon fleißig die nächsten Pilze gesammelt. Was für Pilze wir da gekauft haben, wissen wir nicht, es ist keine Sorte, die wir von zu Hause kennen. Sie scheinen fast unterirdisch zu wachsen, denn sie sind voll Erde, und wir müssen fleißig putzen, eine Wahnsinns- Arbeit. Das Kilo reicht für zwei Gerichte, eine Pilzpfanne und ein Hühnerfrikassee. Die Pilze wässern kaum und bleiben sehr fest, der Geschmack ist auch ok. Wenn ein Mitleser sie auf dem Foto erkennt, darf er uns gerne per Kommentar den Namen verraten.
Doch auch das im Vergleich zu Kasachstan viel üppigere Angebot der Supermärkte, von Wein bis zu Oliven, eingelegten Gurken und gutem Klopapier begeistert uns. In Kasachstan gab es in den Großstädten gigantische Supermärkte (die wirklich alles hatten), in denen oft eine fast gespenstische Stille herrschte. In Dörfern und Kleinstädten gab es dagegen oft nur kleine Läden mit dem absolut Notwendigsten. Daher ist unsere Freude groß, als wir feststellen, dass die hier beliebte Kette “Maria-Ra” auch in kleineren Städten vertreten ist. Die Filialen sind auch nicht so leer, scheinbar sind die Verhältnisse so, dass sich auch Menschen mit einem normalen Einkommen den Einkauf dort leisten können. Nach einem Einkauf im Maria-Ra Supermarkt in Biisk, bei dem alle Vorräte und Reserven wieder aufgefüllt werden, kommen wir dann langsam ins Gebirge. Durch den Regen und tiefhängende Wolken kommt bei uns eine sehr herbstliche Stimmung auf, die Birken bekommen schon ihre ersten gelben Blätter. Es ist nicht das erste Mal, dass wir innerhalb von wenigen Fahrt- Tagen ganze Jahreszeitenwechsel im Zeitraffer erleben. Auf unserem Weg durch die ersten Ausläufer des Altai haben wir sehr viel Glück, denn unser Wasser geht gerade zur Neige, als wir eine heilige Quelle direkt am Straßenrand erreichen. Wie auch schon im Osten Kasachstans erkennt man die Quelle an den vielen bunten Stofffetzen, die die Menschen dort ob die Bäume und Sträucher geknotet haben. Über 150 Liter füllen wir auf und sind damit vollständig für einen längeren Aufenthalt in den Bergen gerüstet (für andere Reisende: die Quelle ist an der M52 zwischen km 478 und 479). Neben der Quelle gibt es eine lange Reihe Souvenirstände, denn der Altai ist trotz seiner Abgelegenheit touristisch voll erschlossen. Lange haben wir solche Stände nicht mehr gesehen, in Kasachstan gab es so etwas nicht. Für uns ist das eine ideale Gelegenheit, ein paar Dinge für den Reisealltag in der beginnenden kalten Jahreszeit einzukaufen, in diesem Fall Filzpantoffeln und Socken aus Kamelwolle, made in Mongolia (not China). In unserem Gran Hermano wird es morgens und abends nämlich langsam fußkalt.
Am Abend ist das Maß an Regen und Kälte dann voll: Nachdem es die Tage vorher immer bedeckt mit Schauern war, war dies nun der erste Tag mit Daueregen. Scheinbar hat uns unsere Heimat zur baldigen Rückkehr einen ersten kleinen Willkommensgruß weit nach Osten geschickt. Darauf kann ich nur mit Methoden aus der Heimat antworten: Ofen an! Wie auch zu Hause ist es nicht die Temperatur, sondern die klamme und feuchte Luft, die diesen Schritt manchmal schon früh im Jahr erforderlich macht. 15 Grad Innentemperatur sind eigentlich ok, aber bei 91% Luftfeuchtigkeit nicht mehr wirklich kuschelig. Nichts trocknet mehr, weder die feuchten Klamotten noch irgendwelche Handtücher. Ja, ich weiß, aus Sicht des Motorradfahrers oder Wanderers mit Zelt ist das Jammern auf hohem Niveau, aber der Ofen ist ja da, und eine Kiste Brennholz ist auch an Bord.
Und so raucht es nach 20 Minuten aus dem Schornstein, weitere 20 Minuten später sitzen wir im T-Shirt bei 20 Grad und noch 20 Minuten später öffnen wir bei 27 Grad die Tür, um die Temperatur zu regeln. Diese Methode beschert uns Frischluft und einen schönen Ausblick auf die verregnete Herbstlandschaft, den wir so auch wieder genießen können. Der Ofen röhrt wie ein kleines Düsentriebwerk. Da wir auch zu Hause mit Holz heizen, sind wir routiniert, sobald ein Ofen brennt, ist es selbstverständlich, dass auch darauf gekocht wird. Wir bilden uns ein, dass das besser geht als mit Gas und Strom und dass außerdem das Essen besser schmeckt. Sowohl zu Hause als auch im Auto geht für uns nichts über die Wärme eines knisternden Holzfeuers, alles andere ist zweite Wahl. Wir werden trotzdem noch eine Standheizung in den Gran Hermano einbauen (das haben wir vor der Abreise nicht mehr geschafft), denn nachts kann man schlecht alle Stunde aufstehen, um den Ofen zu füttern, doch wenn man wach ist, ist er erste Wahl.
Einzig die Ordnung der letzten hundert Reisetage ist durch das Heizen etwas durcheinandergeraten, denn die Ofenecke ist nach und nach zum Abstellplatz für allerlei sperriges Zeug geworden, welches wir nicht jeden Tag in den Schrank packen möchten. Das geht bei einem heißen Ofen natürlich nicht mehr, sodass wir nun eine neue Winter- Ordnung brauchen. Am übernächsten Tag ziehe ich dann mit Beil und Säge los, um den Holzvorrat gleich wieder aufzufüllen. “Der” Baum Sibiriens ist die Birke, deren Holz als Ofen- und Kaminholz auch bei uns erste Wahl ist. Es liegen überall abgefallene Äste herum, an Nachschub mangelt es also nicht. Wie so ein Ofen mit Kamelscheiße brennt, hätte ich ja in der Mongolei gerne mal ausprobiert, aber vielleicht machen wir stattdessen auf dem Rückweg noch
einen Versuch mit gewöhnlicher getrockneter Kuhscheiße.